Wettbewerb Entsorgungspark für funktionslose Kunst im öffentlichen Raum

Bekanntgabe der Preisträger und Stellungnahme der Jury

Vom 1. August bis zum 19. September hatte der Kunstverein Hildesheim in Kooperation mit der Universität Hannover und der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig einen Wettbewerb zur künstlerischen Formulierung und Gestaltung von Positionen und Visionen für einen Entsorgungspark für funktionslose Kunst im öffentlichen Raum ausgeschrieben. Die Teilnahme war offen für alle, die in den Bereichen Kunst, Architektur und Gestaltung professionell tätig sind oder studieren.

Eine Umsetzung der eingereichten Beiträge ist nicht vorgesehen. Vielmehr ist es das wesentliche Ziel des Wettbewerbs, einen Diskurs über den Umgang mit Kunst im öffentlichen Raum zu initiieren:
Was geschieht mit jener Kunst im öffentlichen Raum, die ihren Anspruch nie erfüllen konnte oder dies inzwischen nicht mehr kann? Welche Halbwertszeit hat eine Skulptur oder ein Projekt im öffentlichen Raum? Wie ist Kunst zu beurteilen, die nicht (mehr) als Kunst wahrgenommen wird? Hat solche Kunst ein Recht darauf, öffentliche Räume und deren Entwicklung auf unbestimmte Zeit zu blockieren?

Dabei ließ der Wettbewerb einen bewusst großen Interpretationsspielraum zwischen einer Müllkippe, die dafür sorgt, dass sich mit der angelieferten Kunst niemand mehr konfrontieren muss und einem Themenpark, in dem die Kunst vielleicht sogar einen neuen Zusammenhang und damit wieder neue Bedeutung erhält.

In Bezug auf Details wurde bewusst ein großer Spielraum belassen. Sowohl das zu entwickelnde Verständnis der Begriffe Entsorgungspark, funktionslos und öffentlicher Raum als auch die genaue Form, Struktur oder Funktion des zu erarbeitenden Entsorgungsparks unterlagen den individuellen Perspektiven und Visionen der Wettbewerbsteilnehmer.
Der Entsorgungspark für funktionslose Kunst im öffentlichen Raum legte den öffentlichen Raum der Städte Hildesheim, Hannover und Braunschweig sowie des durch sie gebildeten geografischen Dreiecks als potentiellen Handlungsraum zugrunde.

Eine Expertenjury entschied am 28. September in einer Jurysitzung an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig über die fünf ersten Plätze des Wettbewerbs. Der erste Preis ist mit € 5.000,- dotiert, der zweite mit € 2.000,- und der dritte mit € 1.000,-. Die Plätze vier und fünf sind anerkennende Erwähnungen durch die Jury.

Der Wettbewerbsjury gehörten folgende Mitglieder an:

Prof. Dr. Margitta Buchert (Professorin für Architektur- und Kunstgeschichte 20./21. Jahrhundert in der Fakultät Architektur und Landschaft der Universität Hannover);
Tom van Gestel (Künstlerischer Leiter der Stichting Kunst en Openbare Ruimte (SKOR) in Amsterdam);
Thomas Kaestle (Kurator des Kunstvereins Hildesheim e.V.);
MD Dr. Annette Schwandner (Abteilungsleiterin Kultur im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur);
Barbara Straka (Präsidentin der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig);
Kai Vöckler (Urbanist: Künstler, Kurator, Publizist, Gestalter);
Prof. Georg Winter (Professor für Kunst und öffentlichen Raum an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg).


Die Jury befand über 45 aus Deutschland und österreich eingereichte Arbeiten. Aus der erfreulichen Vielschichtigkeit der Ideen und Entwürfe wählte sie folgende Wettbewerbsbeiträge für die ersten fünf Plätze aus:

1. Preis: Arne Hansen / Nils Nolting: KUNST ANGEHäUFT.
Arne Hansen und Nils Nolting arbeiten als Architekten in Hannover
(Büro cityförster).

Die Preisträger schlagen vor, drei Monate lang alle Kunstwerke im öffentlichen Raum der jeweiligen Stadt mit feinem, rundkörnigem Sand zu überschütten, bis nichts mehr von ihnen zu sehen ist. Jeder Standort erhält einen Eimer und eine Schaufel, in unmittelbarer Nähe zum Kunstwerk wird eine Fläche mit Absperrband markiert, auf die der abgetragene Sand geschüttet werden kann. Kunstwerke, die zum Ende der Aktion noch nicht mindestens zu 2/3 ausgegraben worden sind, werden von ihrem Standort entfernt und mit dem Sand zurück in die Sandgrube gebracht. Dort werden sie mit Sand bedeckt und auf unbestimmte Zeit gelagert.

Das Konzept stellt die Frage in den Mittelpunkt, wie eine Funktionslosigkeit festgestellt oder bewertet werden kann, welche Kunst entsorgt werden soll. Es aktiviert dabei jene, die es angeht: die Bürger. Deren selbstbestimmtes, mündiges Handeln ist gefragt, um aktiv über die Zukunft der Kunst zu entscheiden. Das Prinzip ist einfach und nachvollziehbar, jeder kann sich beteiligen. Jurys und Kommissionen werden nicht benötigt. Der Ansatz ist positiv: Was abgeräumt wird, wird dennoch nicht zerstört, sondern für spätere Generationen bewahrt.

2. Preis: Brigitte Raabe / Michael Stephan:
Skulpturenpark ohne Skulpturen
Brigitte Raabe und Michael Stephan arbeiten als freie Künstler in Hamburg.

Die Preisträger schlagen vor, Skulpturen in homöopatische Mittel umzuwandeln und mit diesen die dreidimensionalen Erscheinungen der Werke zu ersetzen. Werke können so bedenkenlos entsorgt werden, ohne dass ihre Wirkung oder Wirksamkeit beeinträchtigt würde. Im Gegenteil würde die Idee oder Aussage des Werkes komprimiert und potenziert. Zu Einnahme der Mittel und immateriellem Nachempfinden der Skupturen wird ein Park, zum Beispiel die Herrenhäuser Gärten, empfohlen.

Das Konzept treibt die Frage nach der Entsorgung künstlerisch bis zu einem radikalen Endpunkt: die Kunst wird aufgelöst.
Dabei bleibt die Vision positiv: Die aufgelöste Kunst dient dazu, in konzentrierter Form andere Bewusstseinszustände zu erlangen. Dabei ist das vorgeschlagene System kein Witz: Die Künstler arbeiten tatsächlich streng nach homöopatischen Gesichtspunkten.

3. Preis: Ralph Walczyk / Silvia Wienefoet: Rotierendes System
Ralph Walczyk ist Architekt, Silvia Wienefoet freie Künstlerin, beide arbeiten in München.

Die Preisträger haben ein System entwickelt, welches zunächst eine Kartierung aller existierender Kunstwerke im jeweiligen geografischen Raum vorsieht. Diese wird von Experten in einer digitalen Datenbank betreut, um einen begleitenden öffentlichen Diskurs anzuregen und zu führen, der darüber entscheidet, ob ein Kunstwerk verbleiben soll. Wenn die Entscheidung negativ ausfällt, kann das jeweilige Werk in einer digitalen Warteschleife an andere Standorte vermittelt werden und wird erst nach einem Jahr in einen Funduspark gebracht. In einem Abosystem können sich auch kleinere Orte aufwendige Kunst auf Zeit ermöglichen.
Das Konzept denkt sehr konsequent und pragmatisch durch, was ein Abräumen oder Umräumen von Kunst bedeuten könnte. Es macht Vorschläge für ein System, um konstruktiv Bewegung in den Status Quo zu bringen. Ein temporäres System für Kunst bricht zudem deren Ewigkeitscharakter auf. Das Konzept ist ein klares Modell als Ermunterung zum Weiterdenken.

4. Platz: Tim Steinberg / Karsten Komp / Anke Schmidt: Konverter K1
Tim Steinberg, Karsten Komp und Anke Schmidt arbeiten als Architekten in Hannover.

Der Beitrag sieht den Bau einer Maschine vor, die ein Arsenal unterschiedlicher Werkzeuge birgt, welche die verschiedenen Möglichkeiten des Umgangs mit Kunstwerken unvoreingenommen versinnbildlichen: Zerstörung, Versetzung, Einlagerung, Recycling, Erhalt... Diese Maschine wird neben Objekten in Stellung gebracht, die zur Debatte stehen, um auf spektakuläre Weise auf das mögliche Geschehen hinzuweisen. Nach einem öffentlichen Abstimmungsverfahren wird das jeweilige Urteil gnadenlos vollstreckt.

Eine kafkaeske Maschine zeigt die gesamte fragwürdige Dimension der Raumaneignung von Kunst. Sie materialisiert abstrakte Vorgänge der Entscheidung.


5. Platz: Nadja Susemichel / Alexander Henschel: Kunst-Recycling – vom urbanen über den medialen in den privaten Raum
Nadja Susemichel studiert Kulturwissenschaften in Hildesheim, Alexander Henschel studiert freie Kunst und Kunstpädagogik in Halle

Der Entwurf schlägt vor, als Recycling von Kunstwerken diesen eine Funktion außerhalb des Kunstzusammenhangs zuzuweisen und sie mit dieser neuen Funktion zum Verkauf anzubieten: als Kleiderständer, Klettergerüst, etc. Mit dem Erwerb wandelt sich das ehemalige Kunstwerk dann zu einem Gebrauchsgegenstand. Diese Zuweisung verkehrt die Strategie Duchamps ins Gegenteil: Ein Kunstwerk wird zum Alltagsgegenstand definiert.

Das Konzept fragt nach neuen Funktionsmöglichkeiten am Ende der Funktionslosigkeit. Als charmante und radikale Provokation trägt es den Diskurs in die öffentlichkeit. Das ironische Modell macht dabei deutlich, warum Kunst Kunst ist – und eben kein Klettergerüst.

Ausstellung der Wettbewerbsergebnisse und Tagung im November
Die Wettbewerbsbeiträge der fünf erstplatzierten Teams werden zusammen mit einer Auswahl aus den übrigen Beiträgen vom 26 November bis zum 18 Dezember 2005 im der Galerie im Kehrwiederturm des Kunstvereins Hildesheim ausgestellt. Die Auswahl der Exponate erfolgt durch den Kurator des Kunstvereins Hildesheim unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Jurysitzung. Die Verfasser der ausgestellten Beiträge werden rechtzeitig benachrichtigt. Die Eröffnung der Ausstellung findet am 26. November um 20.00 Uhr statt. Im ersten Quartal 2006 wird die Ausstellung außerdem in den Hochschulgalerien der Universität Hannover sowie der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig zu sehen sein.

Die Ausstellungseröffnung in Hildesheim wird im Rahmen einer Tagung zum Thema umräumen – wohin mit der Kunst im öffentlichen Raum? stattfinden, bei der unter anderem die fünf erstplatzierten Beiträge vorgestellt und durch Mitglieder der Jury kommentiert werden. Außerdem wird das Thema von weiteren Experten ausführlich diskutiert werden.

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